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Vorurteile gegen vegane Ernährung wissenschaftlich widerlegt

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von FlorianCooks

21.11.2018

"Vegan-Klischee ade!", so heißt das Buch von Niko Rittenau. Wir haben uns mit dem Dozenten und Mitbegründer des Plant Based Institute getroffen und uns fundiert erklären lassen, was an typischen Vorurteilen gegen vegane Ernährung dran ist. Im Interview beantwortet Niko auch die spannende Frage: Wurde dem Menschen der Fleischkonsum in die Wiege gelegt?

Niko, du bist ausgebildeter Koch, Yoga-Lehrer, Buchautor, hältst Vorträge und bist Ernährungsberater, ich hoffe ich habe nichts vergessen. Wie bringst du das alles unter einen Hut und woher nimmst du die Kraft dafür?

(lacht) Alles, was du gesagt hast, stimmt. Dazu bin ich noch Dozent und Mitbegründer des Plant Based Institute in Berlin, in dem ich Ernährungslehre unterrichte. Und wie ich das ganze unter einen Hut bekomme, ist ganz einfach: Ich plane meinen Tag und habe große Freude an dem, was ich mache, also abgesehen von meiner Buchhaltung und Steuererklärung. Die Kraft ziehe ich aus dem Gefühl, dass das, was wir machen, zu einer positiven Veränderung der Welt beitragen kann und ich kann mir kaum etwas schöneres vorstellen. Man könnte also sagen, dass ich entweder immer arbeite, oder, dass ich nie arbeite.

Ich habe das Gefühl, Ernährung spielt in den vergangenen Jahren eine immer größere Rolle und die Menschen versuchen sich bewusster zu ernähren. Sieht du das auch so?

Das sehe ich auch so und mich freut diese Entwicklung sehr. Ein Punkt ist sicherlich, dass die Menschen heute besser wissen, welchen entscheidenden Einfluss die Ernährung auf ihre Gesundheit hat. Daher betone ich stets, dass die Antwort auf viele gesundheitlichen Fragen auf unserem Teller liegt und wir können täglich etwas dazu beitragen, dass wir gesund bleiben. Und dieses Bewusstsein setzt sich mehr und mehr durch und die Menschen merken, wie sie selbst auf ihre Gesundheit achten können, aber auch auf die Gesundheit des Planeten und der anderen Lebewesen durch ihre Ernährung schützen können.

Du sagst: Es gibt 3 große Risikofaktoren für chronische Erkrankungen: Frühstück, Mittag- und Abendessen. Wie darf man das verstehen?

Wenn ich akute Leiden wie einen Herzinfarkt habe, dann ist die medizinische Intervention das einzig sinnvolle. Aber wir wissen auch, dass wir schon in den Jahren zuvor viel hätten machen können, um dem Herzinfarkt vorzubeugen. Natürlich gibt es auch andere Komponenten, wie Veranlagung oder den Lebensstil, aber wie die Wissenschaft zeigt, ist die Ernährung einer der wichtigsten Faktoren bei chronisch degenerativen Erkrankungen. Das heißt, wir haben mehr Kontrolle über unsere Gesundheit, als man vielleicht denkt, und sind nicht nur Sklaven unserer Gene, zumindest in sehr vielen Fällen.

Im Gespräch mit Niko Rittenau wird deutlich, dass Ernährung eine große Rolle spielt, wenn es um die Gesundheit geht. Foto: Plant Based Institute

Wie kamst du zum Entschluss, dich vegan zu ernähren? Erst als du dich im Zuge deiner Ausbildung zum Touristikkaufmann mehr mit Ernährung auseinandergesetzt hattest, oder schon davor?

Das war ein schrittweiser Prozess. Relativ früh hatte ich mich aus ethischen Gründen entschieden, auf Fleisch zu verzichten. Bei anderen tierischen Produkten wie Milch und Eiern war es für mich zunächst nicht erkenntlich, warum ihr Konsum ein Problem sein sollte. Erst als ich damit angefangen habe, mich mit vegan lebenden Menschen auszutauschen, habe ich das verstanden. Auf den ersten Blick erschien mir wie vielen anderen Menschen auch eine rein vegane Ernährung als recht drastisch und restriktiv, wenn man sich aber näher damit auseinandersetzt dann merkt man, dass das nicht der Fall ist und es einfach nur ein Umdenken bedarf. Ich hatte zunächst aufgrund meiner damaligen Unkenntnis auch gesundheitliche Bedenken, weil ich damals ähnliche falsche Vorurteile wie viele andere gehegt habe.

Wieso hast du dich dann letztlich doch dafür entschieden?

Ich wollte den Menschen nicht nur glauben, ob eine vegane Ernährung gesund oder ungesund sei, sondern es auch wirklich wissen und verstehen, ob man tierische Produkte zum Leben braucht und daher hatte ich mich entschieden, Ernährungsberatung im Bachelor zu studieren, damit ich die Zusammenhänge besser verstehe. Zu Beginn des Studiums hatte ich sogar noch die falsche Hypothese, dass eine rein pflanzliche Ernährung womöglich nicht bedarfsdeckend sei. Die Datenlage zeigt aber, dass wir uns in jeder Lebensphase mit der veganen Lebensweise optimal ernähren können. Vollwertige pflanzliche Ernährung ist aber nicht nur gesund, sondern in vielen Fällen auch gesünder als eine duchschnittliche westliche Mischkost.

Du hast gerade das Thema Milch angesprochen. Eine Frage, die immer wieder auftaucht ist: Warum verzichten vegan lebende Menschen auf Milch? Denn dadurch wird keinem Tier Leid zugefügt.

Die Milchproduktion scheint auf den ersten Blick vielleicht ohne Leid zu geschehen, aber vor allem die industrielle Milchproduktion ist alles andere als frei von Leid. Kuhmilch ist Muttermilch und wie auch beim Menschen müssen Kühe ein Kalb gebären, um Muttermilch zu geben, welches ihnen dann allerdings verwehrt wird, weil die Milch in den Handel kommen soll. Wenn man die ökologischen und ethischen Gesichtspunkte weglässt – was man natürlich nicht tun sollte – und nur auf die gesundheitlichen Punkte schaut, dann braucht man Milch oder Milcherzeugnisse zumindest nicht für den Kalziumbedarf und kann diesen auch rein pflanzlich decken. Die gesundheitliche Diskussion zum Thema Milch ist komplex und wird oft zu eindimensional geführt. Daher würde es etwas den Rahmen sprengen. Beide Seiten bewegen sich in Bezug auf manche gesundheitsbezogene Aussagen auf dünnem Eis und nach meinem wissenschaftlichen Verständnis gibt es noch viele offene Fragen dazu. Aber wir können zumindest sagen, dass wir auch ohne Milch wunderbar unseren Kalzium-Bedarf decken können und es somit zumindest keinen Grund für den Konsum von Milch gibt.

Du hast das Buch „Vegan-Klischee ade!“ geschrieben. Wie kam es dazu?

Also in erster Linie habe ich das Buch nicht geschrieben, um mein Gesicht auf einem Buch-Cover zu sehen. Ich hätte es auch nicht geschrieben, wenn ich nicht der Überzeugung wäre, dass es eine Notwendigkeit für solch ein Buch gibt. Der Grund warum ich es geschrieben habe, ist, dass trotz vieler guter Bücher über vegane Ernährung ein Werk fehlte, das explizit mit den Vorurteilen und Mythen zur veganen Ernährung aufräumt. Wie etwa, dass man Milch für seinen Kalzium-Bedarf braucht oder, dass Soja die Männer verweiblicht. In dem Buch beziehe ich mich immer auf Studien, das heißt, die Leser müssen mir nicht glauben, sondern können es stets anhand der Daten selbst transparent überprüfen.

In seinem Buch "Vegan-Klischee ade!" räumt Niko Rittenau mit den Vorurteilen gegenüber einer veganen Ernährung auf. Foto: Cover "Vegan-Klischee ade"

Ist denn etwas dran, dass Soja die Männer verweiblicht?

Jede kontroverse Aussage hat einen wahren Kern, sonst würde sie nicht so lange überleben. Oftmals wird der wahre Kern aber so aus dem Kontext gerissen, dass die Aussage nicht mehr valide ist. In Soja gibt es östrogenähnliche Stoffe, die sich Phytoöstrogene nennen. In der Sojabohne sind das speziell die Isoflavone. Diese verhalten sich zwar ähnlich wie körpereigenes Östrogen, sind jedoch um ein Vielfaches schwächer – wir reden da von einem Bereich zwischen 100- und 10.000-fach schwächer. Deshalb muss man keine Angst vor Soja haben. Ganz im Gegenteil. Soja ist eine der besten pflanzlichen Proteinquellen, die es gibt, daher spricht auch nichts dagegen, dass Männer Soja essen – außer natürlich sie reagieren darauf allergisch.

Was ist denn das größte Klischee, das es gegenüber der pflanzlichen Ernährungsform gibt?

Also ich hätte es nicht gedacht, denn es ist eines der am leichtesten zu widerlegenden Vorteilen und dennoch höre ich es seit vier Jahren ständig: Woher bekomme ich mein Protein, wenn ich keine tierischen Produkte esse? Eine Frage, die übrigens vorwiegend Männer stellen. Dabei wird so getan, als ob es Lebensmittel gibt, die ein Monopol auf einen Nährstoff haben und Protein nur im Muskelfleisch von einem Tier vorkommt oder in einem Ei. Grundsätzlich stammen sämtliche Nährstoffe in ihrem Ursprung entweder aus dem Boden oder werden von Bakterien oder Pflanzen gebildet und akkumulieren sich erst im zweiten Schritt im tierischen Gewebe.

Wenn du dieses Vorurteil hörst, versuchst du dann noch immer die Menschen aufzuklären oder kannst du es mittlerweile nicht mehr hören?

Natürlich kommt man sich wie ein Papagei vor, der zum x-ten Mal das Gleiche sagt, aber ich habe großes Verständnis für alle Leute, die etwas wissen möchten und dann fragen. Denn ich hatte auch meine Zeit, in der ich etwas nicht wusste und dann nachgefragt habe. Ich freue mich auch, wenn ich den Menschen helfen kann, ihr Informationsleck zu füllen. Aber da ich auch nur begrenzte Zeit habe und dann nicht immer auf alle Fragen antworten kann, habe ich mich entschieden eine Youtube-Reihe zu starten, in der ich auf die häufigsten Fragen eingehe und sie darin erkläre und wissenschaftlich belege.

Buchautor und Ernährungsberater Niko Rittenau mit Bücher in der Hand. Portait von vorne.
Niko Rittenau beantwortet gerne Fragen über pflanzliche Ernährung, er hat sogar eine Youtube-Reihe auf die Beine gestellt, um mehr Menschen zu erreichen. Foto: Tatyana Kronbichler

Ein Punkt, den ich immer wieder höre, ist, dass „Fleisch der Motor der Evolution“ war und aus dem Affen erst den Menschen gemacht hat. Ist uns der Fleischkonsum also in die Wiege gelegt?

Das ist ein Punkt, über den kein Ernährungsberater urteilen sollte, denn dazu gibt es Anthropologen und Evolutionsbiologen, die das besser beurteilen können, da es ihr Fachgebiet ist. Ich habe aber viel zu dem Thema gelesen und kann sagen, dass Fleisch ein Treiber der Evolution war, weil er im Vergleich zu den damals vorhandenen Lebensmitteln die nährstoffreichere Quelle war. Karotten haben nicht ausgesehen wie heute und waren nur dünne Fädchen und Bananen hatten mehr Kerne als Fruchtfleisch. Aber, und das ist der wichtige Punkt, warum die Aussage nicht haltbar ist: Rohes Fleisch ist für den Menschen im Durchschnitt weniger nahrhaft als Gekochtes. Daher ist das Kochen der größte Treiber der Evolution. Durch das Kochen konnte der Mensch das Fleisch leichter verdauen. Zudem braucht das menschliche Gehirn Glukose und das findet er nicht in Fleisch, sondern in gekochten stärkehaltigen Lebensmitteln wie Wurzeln und Vorläufern heutiger Getreide. Wären die Feuerstellen aus geblieben, hätten wir keine Evolutionssprünge machen können. Daher sollte man den Menschen nicht als Pflanzen- oder Fleischfresser betiteln, sondern einfach als das einzige kochende Lebewesen, das es gibt.

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Titelbild: Claudia Weingart

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